Farbsehschwäche

Artikel aus „Die Ganze Woche“

Das Leben von farbsehgestörten Menschen ist reicher als das der normalsichtigen, reicher an Peinlichkeiten“, sagt der „farbenblinde“ Jost Mauer. Er erinnert sich daran, wie die Mitschüler in der Volksschule lachten, als sein gezeichnetes Reh dunkelgrün ausfiel und der Wald rotbraun. Jahre später trug er einen vermeintlich weißen Trainingsanzug zum Fußballspielen und löste erneut Gelächter aus. Der Trainingsanzug war rosa, erklärte ihm sein Trainer. Eine Farbe, die Mädchen lieben. Jost Mauer ist mit seiner angeborenen Farb-Sehschwäche, wie die „Farbenblindheit“ korrekt heißt, nicht alleine. Im Gegenteil, von seinen Geschlechtsgenossen leidet jeder zwölfte Mann daran. Unter den Frauen ist es eine von 233. „Von einer Farb-Sehschwäche sind aufgrund genetischer Gegebenheiten zum weitaus größten Teil Buben und Männer betroffen“, erklärt der Augenarzt und Netzhautspezialist Dr. Matthias Bolz. „Das liegt daran, dass der Gendefekt auf dem X Chromosom lokalisiert ist. Frauen haben ein zweites X Chromosom, dass dieses Defizit quasi ausgleichen kann, Männer eben nicht.“ Gewiss ist jedoch, dass Buben vom hellhäutigen, europäischen Typ am häufigsten betroffen sind. Das fanden US-Wissenschafter aus Los Angeles heraus. Sie haben 4.000 Volksschulkinder untersucht und dabei auf die ethnische Herkunft geachtet. Das Ergebnis zeigte, dass der kaukasische Typ (= europäische Buben) mit sechs Prozent am stärksten, und Buben aus afrikanischen Ländern mit 1,4 Prozent am geringsten von „Farbblindheit“ betroffen waren.

Rot-Grün macht am häufigsten Probleme

Richtig farbenblind ist jedoch kaum einer von ihnen. „Wenn von ‚Farbenblindheit‘ die Rede ist, geht es meistens um die Rot- oder Grün-Schwäche. Die Betroffenen sehen Rot als Braun und Grün als Grau. Manche Mischtöne wie Orange und Lila bereiten ebenfalls Probleme. Gelb oder Blau hingegen sehen die Betroffenen“, erklärt Dr. Bolz. Seltener ist die Gelb-Blau-Sehschwäche. Bei der echten Farbenblindheit sehen die Menschen nur Schwarz, Weiß und die Grautöne. Schuld an der Sehschwäche sind die in der Netzhaut vorhandenen Zapfen. „Es gibt im Sehzentrum drei verschiedene Zapfentypen. Sie reagieren auf jeweils langwelliges, mittelwelliges und kurzwelliges Licht. Die Zapfen für langwelliges Licht lassen uns Rot sehen. Jene für mittelwelliges Licht Grün und für kurzwelliges Licht Blau. Funktioniert einer der drei Zapfentypen nicht regelrecht, werden Mischtöne aus verschiedenen Farben nicht richtig – oder eben individuell anders – wahrgenommen“, erläutert der Augenarzt die Ursache der Krankheit.

Erste Anzeichen im Kindesalter

Die ersten Anzeichen von Farb-Sehschwäche können schon im Vorschulalter auftreten. „Mein Sohn hatte ein Kinderpuzzle. Eines Tages fiel mir auf, dass er die Teile mit den gelben und blauen Farben immer als erste auswählte und einsetzte. Bei den roten und grünen Puzzlestücken zögerte er stets“, erzählt eine Mutter über ihren vierjährigen Sohn.

Für den Augenarzt ist das nichts Neues. „Meist bemerken Eltern die Farb-Sehschwäche bei ihrem Kind durch Zufall. Falls nicht, wird sie meist in der Volksschule bemerkt, etwa im Malunterricht. Eltern müssen sich keine Vorwürfe machen, wenn sie diese Besonderheit des Kindes nicht bemerken. Es gibt auch keinen Test, mit dem man eine Farb-Sehschwäche in so frühen Kinderjahren verlässlich bestätigen könnte, denn Kinder brauchen auch Zeit, um die Farben zu lernen“, beruhigt Dr. Bolz. Frauen, deren Väter an einer Farbschwäche litten, können das bei ihrem männlichen Nachwuchs abklären lassen. „Eine Farb-Sehschwäche ist keine gesundheitliche Bedrohung. Die Augen der Patienten sind deswegen nicht gefährdet zu erblinden oder andere Krankheiten zu bekommen“, versichert Dr. Bolz.

Besteht der Verdacht, das Farbsehen könnte gestört sein, ist ein Besuch beim Augenarzt ratsam. „Es gibt zwei Tests, die zeigen, ob und welche Farb-Sehschwäche besteht. Der Ishihara-Test wird mit bunten Tafeln durchgeführt. Normalsichtige können auf ihnen Zahlen, Formen oder Buchstaben erkennen. Menschen mit dieser Form der Sehschwäche haben dabei Probleme. Beim Farnsworth-Test müssen die Patienten Steine in verschiedenen Farbnuancen von kräftig nach blass ordnen. Je nachdem wie gut ihnen das gelingt, lässt sich die Farbsehschwäche einstufen“, so der Augenarzt.

Heilung gibt es bei „Farbenblindheit“ keine. Die Wissenschafter hoffen, eines Tages mit Hilfe der Gentechnik die Erkrankung zu besiegen. Doch dieser Weg ist noch lang. Derweil müssen sich Farbenblinde alleine zurecht finden und peinliche Momente meistern lernen. „Es wäre toll, wenn bei öffentlichen Projekten an Farbenblinde gedacht würde“, mahnt Jost Mauer. „Nur ein Beispiel. Wenn auf dem WC-Schloss statt ‚rot‘ und ‚grün‘ ein ‚frei‘ oder ‚besetzt‘ steht, ist das eine große Erleichterung.“

Vorsicht vor großen Versprechen

Augenärzte und Optikermeister wie Anton Koller aus Wien warnen vor Anbietern von Brillen, die das Farbsehen zurückbringen sollen. „Das Problem ist, die fehlerhaften Zapfen bleiben fehlerhaft. Sie können nicht jene Lichtwellen empfangen, die das Gehirn dann als Rot, Grün oder Blau verarbeitet. Es kann sein, dass blasse Farben mit diesen getönten Brillen etwas intensiver werden, aber mehr geht nicht. Kontrastfilter-Gläser wiederum bringen mehr Schärfe ins Bild, weil sie den Unterschied zwischen Schwarz und Weiß deutlicher machen. Doch diese Brillen nehmen viel vom Tageslicht weg und sind daher nur an Sonnentagen ratsam“, sagt Anton Koller, Wiener Landesinnungsmeister der Optiker. Eine tatsächliche Hilfe sind elektronische Farberkennungsgeräte. Der handliche Apparat wird kurz auf eine farbige Oberfläche gehalten. Über ein Sprachfunktion informiert er über die Farbe. Etwa 150 Farben und Nuancen erkennen diese Geräte, die zum Beispiel beim Einkauf von Kleidung, Möbel oder einem Auto nützlich sind.